Resolution

„Zur sozialverträglichen Nutzung der Windenergie in NRW“

Der Landesverband der Bürgerinitiativen VERNUNFTKRAFT-NRW e.V. ist ein Zusammenschluss der Bürgerinitiativen im Land Nordrhein-Westfalen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen: Im Rückgriff auf die leitende Idee der „Energiewende“ setzt sich der Verband für eine durchdachte und weitsichtige, eine menschen- und sozialverträgliche Nutzung der Windenergie ein, um die Lebensqualität der Bevölkerung zu erhalten und zu verbessern und die gewachsenen Natur- und Kulturlandschaften zu schützen. Dabei mahnt der Verband sorgfältige Standortanalysen und Standortprüfungen beim Ausweis von Windvorrangzonen an.

Dies ist der Hintergrund, weshalb wir uns im Interesse einer breiten Bürgerschaft mit der ebenso höflichen wie dringenden Bitte an die politischen Entscheidungsträger im Land Nordrhein-Westfalen wenden:

Nehmen Sie die begründeten Vorbehalte der Bevölkerung gegen einen ungebremsten Ausbau der Windindustrie ernst und berücksichtigen Sie den Bürgerwillen bei künftigen landesplanerischen Entscheidungen!

Dabei wollen wir nicht in die bundespolitische Debatte über die Energiewende eingreifen. Wir gehören zu deren Befürwortern, müssen jedoch zugleich erkennen, dass sich deren politische Umsetzung immer mehr zu einem Desaster entwickelt. Deshalb setzen wir darauf, dass die NRW-Landespolitik die gegebenen Spielräume nutzt, um der Windindustrialisierung eine zukunftstaugliche Wendung zu geben. Zwar wissen wir um die Revisionsresistenz einmal getroffener politischer Entscheidungen. Eine zukunftsweisende – weil durchdachte und sozialverträgliche – Weichenstellung kann jedoch gleichwohl unter den folgenden vier Prämissen gelingen.

(1)
Der weitere Ausbau der Windindustrie muss vor allem anderen in erträglichen Abständen zur Wohnbebauung erfolgen.

Die bestehenden gesetzlichen Regelungen, die einen Abstand von wenigen Hundert Metern zwischen WEA und Wohnbebauung vorsehen, sind völlig unzureichend. Erträgliche und für die betroffenen Anwohner akzeptable Abstandsregeln dürfen nicht in Metern, sondern müssen in Kilometern bemessen werden:

Das 15-fache der WEA-Gesamthöhe als empfohlener Mindestabstand zur Wohnbebauung wäre eine Regelung, mit der wohl viele Anwohner leben könnten.

Die Festlegungen in anderen europäischen Ländern (z. B. Frankreich 3 km, England 3 miles) müssen zu denken geben. Noch bedenklicher aber ist, dass der Unmut der Bevölkerung über die windindustrielle Verbauung der Wohnumgebung, der städtischen Vororte und der Dörfer, der Natur- und Kulturlandschaften überall wächst. Dieser Unmut resultiert nicht aus irgendwelchen ökonomischen Überlegungen in privatem Eigeninteresse (etwa mit Blick auf die Entwertung von Wohneigentum). Vielmehr ist er durchweg motiviert von der Sorge um die Beeinträchtigung der Lebensqualität, den zu erwartenden psychophysischen Belastungen durch nahestehende Windindustrieanlagen und einer irreversiblen Landschaftsverbauung.

In diesem Zusammenhang seien drei Hinweise gestattet: (a) Die TA Lärm ist als „Schutzregel“ gegen WEA-Lärmimmissionen ungeeignet, weil sie nicht im Hinblick auf Windindustrieanlagen konzipiert wurde. (b) Der Schutz der Bürgerschaft vor Schall-Beeinträchtigungen sollte im Sinne einer vorsorgenden Gesundheitspolitik auch die noch nicht „endgültig“ erforschten und gesetzlich geregelten Lärmbelastungen in Betracht ziehen (z. B. tieffrequenter Schall). (c) Die „optische Beeinträchtigung“ durch eine wohnortnahe Windindustrialisierung ist wieder in ihr Recht zu setzen (vgl. den Beschluss des EU-Parlamentes).

(2)
Die Bevölkerung des Landes NRW darf erwarten, dass die Landespolitik Entscheidungen trifft, die einen menschen- und sozialverträglichen Ausbau der Windindustrie gewährleisten.

Selbstverständlich kennen wir die „übergeordneten“ bundespolitischen Regularien, die eine Privilegierung der Windenergienutzung in Außenbereichen festschreiben und die Kommunen darauf verpflichten, der Windenergienutzung „substanziell Raum“ zu schaffen. Wir wissen aber auch, dass diese vage Rechtsnorm Interpretationsspielräume eröffnet, die bislang noch niemand „substanziell“ definiert hat (vgl. dazu Bovet & Kindler im Bundesverwaltungsblatt 8/2013).

Der „Schwarze Peter“ wird vielmehr den Kommunen zugeschoben, die sich nun in einem rechtsunsicheren Gelände zurechtfinden sollen: Denn selbst der Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann nicht entnommen werden, wo „die Grenze zwischen einer unzulässigen Verhinderungsplanung und dem substanziellen Raum für die Windenergie verläuft“ (vgl. BVBl 8/2013).

Da die Kommunen in diesem rechtsunsicheren Raum kaum in der Lage sind, rechtssichere Flächennutzungspläne auszuweisen, werden sie dazu veranlasst, Windvorranggebiete „vorsorglich“ möglichst so großräumig zu planen, dass sie sich nicht der Gefahr einer so genannten „Verhinderungsplanung“ aussetzen. Dies wiederum hat zur Konsequenz, dass die kommunalen Windvorrangzonen und die darin geplanten Windindustriegebiete möglichst dicht an die Wohnbebauung herangerückt werden.

Vor diesem Hintergrund ist Rechtsklarheit dringend anzumahnen. Die Landespolitik ist gefordert, klarzulegen, unter welchen Rahmenbedingungen kommunale Flächennutzungspläne der Windenergie „substanziell Raum“ geben (bzw. welche Kriterien für eine „Verhinderungsplanung“ ausschlaggebend sind).

Diese Regularien haben der vorgegebenen Privilegierung der Windenergienutzung zwar Rechnung zu tragen. Zugleich müssen sie aber auch und vorrangig (!) den Schutz der Bevölkerung vor unzumutbaren und unerträglichen Belastungen und Beeinträchtigungen durch Windindustrieanlagen gewährleisten.

Das politische Dilemma vieler Kommunen darf von der Landespolitik nicht gering geschätzt werden: Obwohl den Kommunen üblicherweise an einer Windenergieplanung in Abstimmung mit ihrer Bürgerschaft gelegen ist, sehen sie sich gleichwohl gezwungen, gegen deren Interessen und zu deren Lasten Windvorrangzonen möglichst großflächig anzulegen, um einer unklaren Rechtsnorm Genüge zu tun.

Dabei könnte zumindest in einem Punkt eine schnelle Einigung erzielt werden: Auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung, die eine größere Abstandsbemessung zwischen Windindustriegebieten und Wohnbebauung festlegt (vgl. Punkt (1)), könnten die Kommunen auf „der sicheren Seite“ planen, und sie würden damit zugleich in die Lage versetzt, Windvorrangzonen so auszuweisen, dass der Schutz der Anwohner gewährleistet ist.

(3)
Dazu bedarf es allerdings einer verantwortlichen Landespolitik, die sich zu einem abwägenden und ausgewogenen politischen Handeln in Orientierung am Gemeinwohl verpflichtet sieht. Diese Gemeinwohlorientierung ist jedoch dann in Frage gestellt, wenn politische Entscheidungen „einseitig“ zu Lasten der Bevölkerung und zu Gunsten der Windindustrie getroffen werden.

Dies ist in NRW derzeit der Fall, wie jeder aufmerksame Beobachter feststellen kann, der die Verlautbarungen aus dem Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz verfolgt. Eine sachbezogene Auseinandersetzung mit den Folgeproblemen der Windindustrialisierung ist nicht zu erkennen. Stattdessen wird ein Kommunikationsmanagement betrieben (vgl. die ministerialen Werbebotschaften im Internet), das in erster Linie der Realitätsverschleierung dient: Windindustrieanlagen auf „unendlich“ weiten grünen Wiesen, fernab jeglicher Wohnbebauung, die mit ihren strahlend weißen Rotoren vor wolkenlos blauem Himmel Energie erzeugen.

Die Realität sieht allerdings anders aus: Die gesetzlichen Regelungen des Landes NRW lassen es zu, dass die Wohnorte zunehmend dichter von Windindustrieanlagen umstellt und von diesen „erdrückt“ werden. Und jeder aufmerksame Beobachter kann erkennen, dass sich die Windindustrie immer weiter zu Lasten einer lebenswerten Umwelt ausbreitet, weil die gesetzlichen Regelungen des Landes NRW dem nicht entgegenstehen.

Es bedarf keines weiteren Kommentars: So setzt die Landespolitik ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel. So wird das politische Vertrauen des vielbeschworenen „mündigen Bürgers“ nicht gestärkt, sondern verspielt. So geht eine Landespolitik, die nicht mit, sondern gegen die Bevölkerung durchgesetzt werden soll.

(4)
Mündige Bürgerinnen und Bürger dürfen von der NRW-Landespolitik erwarten, dass sie sozialverträgliche Entscheidungen unter Achtung des Bürgerwillens trifft. 
Das heißt zweierlei:

Die Bürgerinnen und Bürger sind (a) umfassend und ideologiefrei aufzuklären über die Folgeprobleme einer fortschreitenden Windindustrialisierung im Land NRW und in dessen windhöffigen Regionen. Sie sind aufzuklären über die Zielkonflikte des Klima-, Umwelt- und Landschaftsschutzes, über die ökonomische und öko-logische Kosten-und-Nutzen-Verteilung, und auch über die absehbaren Konsequenzen der gesetzlichen Regelungen, die für NRW erlassen wurden.

Es geht mithin um eine fundierte Analyse und Abschätzung der Technologiefolgen. Und die Bevölkerung ist über diese Folgen aufzuklären.

Die Bevölkerung hat (b) Anspruch darauf, in die kommunalpolitischen Standortplanungen und -entscheidungen eingebunden zu werden. Dafür reichen die bisher vorgesehenen Beteiligungsregularien nicht aus. Wir wissen aus Erfahrung, dass diese Regularien eine Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger eher behindern, als dass sie diese befördern würden. Da den Kommunen an einer möglichst „reibungslosen“ Windindustrieplanung im Sinne des Gesetzgebers gelegen ist, werden die Beteiligungsrechte der Bürgerschaft oft auf ein Minimum begrenzt (z. B. auf das schmale Zeitfenster von Auslagefristen), und deren Vorbehalte und Einwände werden häufig als „nicht zielführend“ abgewiesen (z. B. durch die Auftragsgutachten der Kommunen und der Investoren).

Es ist mithin dringend erforderlich, die Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger an den kommunalen Planungs- und Entscheidungsprozessen zu stärken. Entsprechende Verfahrensregeln müssen gewährleisten, dass der weitere Ausbau der Windindustrie nicht über die Köpfe der Bürgerschaft hinweg geplant werden kann.

Der Verweis auf ältere Erhebungen, wonach eine große Mehrheit der Bevölkerung die Energiewende befürwortet, können im Hinblick auf die sich ausbreitende Windindustrie nicht mehr beruhigen. Immer größere Teile der Bürgerschaft und immer mehr Bürgerinitiativen wenden sich gegen deren ungebremsten Ausbau und deren kaum mehr zu rechtfertigende Subventionierung. Sie widersprechen den derzeit politisch favorisierten Prinzipien der Windindustrialisierung: dem Prinzip der technischen Maximierung (als vorbehaltlose Realisierung des technisch Machbaren) ebenso wie dem Prinzip der ökonomischen Gewinnmaximierung (zugunsten die Investoren). Sie mahnen Sozialverträglichkeit an und fordern den Schutz gewachsener Kultur- und Naturlandschaften ein.

Wir wären den politischen Entscheidungsträger im Land Nordrhein-Westfalen sehr verbunden, wenn Sie die hier vorgebrachten Argumente nicht ungeprüft zu den Akten legen würden. Ihren Stellungnahmen sehen wir gerne entgegen – vor allem dann, wenn sie sich, sachbezogen und gut begründet, mit dem vorgetragenen Anliegen auseinandersetzen.

Denn eine politisch gesteuerte Revision der windindustriellen Energiewende im Interesse der Bevölkerung und in Achtung des Bürgerwillens ist dringend geboten. Sie lässt sich auch nicht mehr in irgendeine Zukunft verschieben.